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Eröffnung, 1. Dezember 2011, Wien

Von der Inszenierung des Zufalls

Vitus Weh, Kunstwissenschaftler

Die gleichzeitige Einweihung eines neuen Büros und die Eröffnung einer Kunstausstellung eben darin erzwingen nicht unbedingt, über beides zu sprechen. Heute bei der konkret vorliegenden Konstellation der Eröffnung der Wiener Dependance von foryouandyourcustomers und der Ausstellung der Bilder von Sali Ölhafen aber sehr wohl. Es ist ein Zusammenspiel, bei dem es sehr lohnt, beide Anlässe formal und inhaltlich in Verbindung und Kontrast zu einander zu setzten. Da sind also einerseits Büroräume, andererseits Bilder. Die Räume sind in etwa so, wie man sie sich erwartet; Alles ist akkurat und in guter Ordnung: Der Grundriss des Hauses, die Wohnung, jedes Zimmer, die Fenster und Türen, ja selbst die Steckdosen und Lichtschalter: alles ist rechtwinklig. An das orthogonale Rastersystem unserer Umwelt haben wir uns schon so gewöhnt, dass es gar nicht mehr gesondert auffällt.

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts war das noch anders, da war das rechtwinklige Raster noch ein besonders auffallendes Sujet der Avantgardekunst. Man denke nur an die russischen Konstruktivisten, an de Stijl oder an die Bilder von Piet Mondrian. Seitdem umhüllt uns das rechtwinklige Raster also permanent mit Modernität. Ein gut dazu passendes Zitat stammt vom französischen Malers Fernand Leger aus dem Jahr 1923: Der moderne Mensch lebt mehr und mehr in einer vorwiegend geometrischen Ordnung. Alles, was er auf mechanischem und industriellem Weg schafft, wird von geometrischen Gegebenheiten bestimmt. (Fernand Léger, Maschinenästhetik, 1923)

Auch die ausgestellten Bilder von Sali Ölhafen sind selbstverständlich alle von rechtwinkligem Format. Damit hat es sich dann aber auch schon. Alles andere an den Bildern scheint eher im krassen Gegensatz zum sauberen Raster zu sein: Es ist gleichsam ein ideologischer Gegenentwurf: Die Bilder handeln nicht von akkurater Gradlinigkeit sondern vom Fließen, von Schlieren und Farbschleiern. Zum Einsatz kommen zum Teil leichte und auch leicht verletzliche Materialien wie Noppenfolie, die ausgestellten Fotografien wiederum sind von intimem Kleinformat.

Da ich nicht weiss, ob Sie schon ausreichend Gelegenheit hatten, sich die ausgestellten Bilder von Sali Ölhafen näher anzuschauen, dachte ich, es ist das Beste, dies gemeinsam zu tun: In diesem Raum sind beispielsweise drei großformatige, quadratische Bilder zu sehen. Was zunächst ins Auge springt, ist ihre starke monochrome Farbigkeit: Eines ist rot, das andere gelb, das dritte blau. Der starke Farbkontrast lässt die Bilder oberflächlich sehr unterschiedlich erscheinen. Tatsächlich wird aber jedes Bild von einer ganz ähnlichen, in schwarzer Farbe angelegten Binnenzeichnung dominiert. Zu sehen sind jeweils zentrale fleckartige Ballungen mit dünnen Auskragungen. Es ist eine eigentümliche, sehr eindringliche Form, die auf vielen Bildern von Sali Ölhafen wiederkehrt. Auch in den Bildern, die Sie in dieser Ausstellung im Raum direkt hinter Ihnen sehen können.

In früheren Jahren – wie Sie merken verfolge ich das Werk von Sali Ölhafen schon lange – habe ich diese gezeichneten Chiffren mit den Ansichten von Städten aus der Flugzeugperspektive verglichen, Auch die Flugzeugperspektive ist übrigens eine Weltwahrnehmung, die wir seit etwa den 1920 Jahren kennen. Und unter dieser Perspektive könnte man die Zeichnung als die Straßenzüge, Plätze und Parkanlagen von Städten beschreiben. Ganz real näher liegend drängt sich mir mittlerweile allerdings der Vergleich mit einem Geflecht aus Körperorganen (Herz / Lungenflügel), aus Venen und Arterien auf. Dieses jeden einzelnen von uns Betreffende da innenwohnendes biomorphe Geflecht ist bei Sali Ölhafen zu einer zeichnerischen Chiffre, zu einer „archetypischen Form“ geronnen. „Archetypische Form“ ist ein Begriff von C.G. Jung, einem Schweizer Psychotherapeut, Zeitgenosse und Kollege Sigmund Freuds, der gerade mit dem Film „die dunkle Begierde“ in den Kinos thematisiert wird. Archetypische Formen, so war Jung überzeugt, übersteigen den individualpsychologischen Horizont. Sie lassen sich quer durch die Kulturen und Zeiten finden und sind mithin transpsychologisch. Und genau auf solch eine übergreifende Formvorstellung scheint auch Sali Ölhafen zu rekurrieren. In umfangreichen Zyklen kreist ihr bildnerisches Werk immer wieder um diese Form, die in so klarem Kontrast zum orthogonalen Rastersystem steht. Ausgestellt in diesen Büroräumlichkeiten wirken sie wie ein notweniger Ausgleich zur klaren Logik dieser neuen Firmenniederlassung. Ich wünsche beiden Ansätzen viel Erfolg.